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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Irmingard Schewe-Gerigk

Anonyme Geburt und Babyklappen

Irmingard Schewe-Gerigk

 

14. März 2008

Anonyme Geburt und Babyklappen

 

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

 

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier im Plenum zum Thema "anonyme Geburt" debattieren. Die bisherigen Bemühungen sind "nicht zu einem parlamentarischen Abschluss gekommen", wie es in den Vorbemerkungen der Großen Anfrage der FDP heißt.

 

Eines stimmt ja: Es ist äußerst schwierig, Regelungen zu finden, die die verschiedenen grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter in Einklang bringen, nämlich das Recht auf Kenntnis der Abstammung und das Recht auf Leben. Frau Lopez, darauf sind Sie nicht eingegangen. Aus meiner Sicht ist das Recht auf Leben klar höher zu bewerten als das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

 

Das sage nicht nur ich. Es gibt auch Verfassungsrechtler, die das so sehen. Die Schwierigkeit und das Problem liegen aber gerade darin, dass es so schwer nachweisbar ist. Sie nennen Zahlen, wir nennen Zahlen. Die einen wissen nichts, die anderen auch nichts. Darum ist es gut, dass eine zusätzliche Studie in Auftrag gegeben wird, um uns hier etwas mehr Klarheit zu verschaffen.

 

Auf die Einrichtung von Babyklappen haben wir als Parlament wenig Einfluss. Aber die Hysterie, mit der manche sie zu einer "staatlich lizensierten Babyentsorgung" hochstilisieren, ist mir absolut unverständlich.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

 

Wer sein Kind aussetzen will, wird das tun, ob mit Babyklappe oder ohne. Allerdings sind die Überlebenschancen mit einer Babyklappe doch größer.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

 

Babyklappen sind oft der letzte Ausweg, eher eine moderne Form des alten Weidenkorbs, die ein wenig sicherer für die Babys ist. Ich bin ziemlich sicher, dass im Einzelfall Kinder gerettet werden. Aber wir brauchen für Babyklappen keine gesetzlichen Regelungen.

 

Anders sieht es bei der anonymen Geburt aus. Ich bin der Meinung: Hier müssen wir etwas regeln. Frauen in extremer Notlage sollen unter hygienisch und medizinisch zumutbaren Bedingungen, wie es auch in Österreich der Fall ist, gebären können, ohne ihren Namen angeben zu müssen. Wir müssen auch den unsäglichen Zustand beenden, dass medizinisches Personal mit einem Bein im Gefängnis steht, wenn es in dieser Notlage hilft.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

 

Frau Lopez, Sie haben vorhin gesagt: Das wird nicht verfolgt; das ist überhaupt kein Problem. In eine Beratungsstelle des SkF Köln, die entsprechende Hilfsangebote unterbreitete, kam jedoch der Staatsanwalt, setzte die Verantwortlichen unter Druck und verlangte, die Namen herauszugeben. Ich finde, das können wir uns in einem Rechtsstaat nicht erlauben.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

 

Ich frage mich: Warum sollen diese Menschen ausbaden, dass die Politik sich hier nicht einigen kann? Ein solches Durchwursteln und Wegducken entspricht auch nicht meinem Verständnis von Verantwortung der Politik.

 

Für mich ist es auch schwer erträglich, dass wir de facto in vielen Kliniken anonyme Geburten dulden, aber es vom Wohnort der Frau abhängt, ob sie Hilfe findet oder nicht. Sie hat Glück, wenn sie in der Nähe eine Klinik hat, die das macht. Eine Kollegin hat mir kürzlich den Fall geschildert, dass eine Frau, die schon Wehen hatte, von einem Krankenhaus zum anderen gehen musste, weil sie immer wieder weggeschickt wurde. Ich finde, wenn niemand die Verantwortung übernehmen will, dann ist es um uns schlecht bestellt. Das darf nicht sein.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP - Caren Marks [SPD]: Das ist unterlassene Hilfeleistung! Das ist strafbar! Dagegen kann man juristisch vorgehen!)

 

Vor diesem Hintergrund verblassen die betroffen machenden Berichte von Menschen, die nicht um ihre biologische Abstammung wissen. Auch ich kenne Fälle, bei denen Adoptivforscherinnen sagen, es wäre besser, dieses Kind wäre überhaupt nicht zum Leben gekommen, da es nun so sehr darunter leide, dass es adoptiert worden sei.

 

(Caren Marks [SPD]: Das hat doch keiner gesagt!)

 

Ich muss sagen: Für mich ist hier das Recht auf Leben vorrangig.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

 

Ich frage diejenigen, die sagen, wir bräuchten hier keine Regelung: Was ist die Alternative? Was wollen Sie da anbieten? Das Angebot, anonym und vertraulich zu gebären, rettet Leben von Müttern und Kindern. Da bin ich ziemlich sicher. Zahlen können wir hier nicht nennen. Häufig ermöglicht ein solches Angebot - da bin ich sicher - dem Kind erst die Kenntnis der Abstammung. Die Bundesregierung hat dokumentiert, dass viele Frauen nach einer Beratung ihr zunächst anonym geborenes Kind tatsächlich annehmen. Es gibt auch eine Untersuchung von Fällen von SterniPark, in der von 70 bis 80 Prozent die Rede ist. Das ist doch wichtig. Wenn die Frauen diese Beratung nicht erhalten hätten, dann hätten sie sofort der Adoption zugestimmt. Jetzt haben sie Zeit, werden beraten und können sich zu ihrem Kind bekennen. Adoptionen werden dadurch also verhindert.

 

(Helga Lopez [SPD]: Also, es läuft doch!)

 

Natürlich werden wir nicht alle Frauen, die ihr Kind in Panik und Verzweiflung töten, mit dem Angebot der anonymen Geburt erreichen. Aber wenn wir nur ein paar von ihnen erreichen können, dürfen wir uns der Verantwortung nicht entziehen und müssen hier Rechtssicherheit schaffen.

 

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie haben vereinbart, gesetzliche Regelungen zu schaffen, wenn es nötig ist.

 

(Helga Lopez [SPD]: Nein, haben wir nicht!)

 

Für mich ist diese Notwendigkeit erwiesen. Sie haben jetzt noch eine Studie in Auftrag gegeben. Ich hoffe, dass sie zur Klarstellung dient. Ich weiß, es gibt keine einfachen Antworten. Ich weiß auch, dass nicht alle gewinnen werden. Aber ich möchte Sie doch bitten, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und sich der gemeinsamen Verantwortung zu stellen.

 

Vielen Dank.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)



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